Es war bereits nach Mitternacht, aber die Hitze des Spätsommers
klebte noch am Asphalt der Pariser Straßen. Franco war mit dem Fiat,
den er als Leihwagen genommen hatte, im Kriechgang entlang der Seine
unterwegs. Viel zu langsam für die Schnellstraße, dachte er und
hoffte, in keine Verkehrskontrolle zu geraten. Er fuhr die Strecke
vom Louvre durch die kurzen Stadttunnel bei den Seinebrücken in
Richtung Place de l’Alma.
Noch in Gedanken – er fuhr gerade unter der Brücke bei der Avenue
Roosevelt durch – sah er im Rückspiegel ein größeres, dunkles
Fahrzeug auf der Überholspur, das schnell näher kam. Unmittelbar
dahinter tauchte ein Motorrad auf. Franco war wie elektrisiert:
Eine Limousine mit Eskorte, das mussten sie sein. Er trat aufs Gas,
um seinen Wagen zu beschleunigen, und griff auf den Beifahrersitz
nach seiner schussbereiten Nikon.
Als die Limousine, die Franco jetzt als schwarzen Mercedes erkannte,
schon fast auf gleicher Höhe war, beschleunigte das Motorrad, zwängte
sich noch links an den beiden vorbei und schnitt unmittelbar danach
scharf wieder zur Mitte. Das alles passierte in Sekundenbruchteilen
und der Fahrer des Mercedes konnte einem Unfall nur noch entgehen,
indem er auswich und den schweren Wagen nach rechts zog.
Scheiße, dachte Franco, das wird verdammt knapp!
Er war noch immer deutlich langsamer als der Mercedes, der nun direkt
auf ihn zuraste. Franco ließ die Kamera aus, die zwischen seinen Beinen
auf den Wagenboden polterte, und packte das Lenkrad mit beiden Händen.
Unmittelbar vor ihnen lag die Einfahrt zur Unterführung bei der Pont
de l’Alma, flankiert von massiven Betonbegrenzungen zu beiden Seiten.
Seine Fingerknöchel wurden weiß von der Umklammerung, er musste den
kleinen Fiat nun um jeden Preis in der Spur halten. In letzter Sekunde,
bevor er in Francos Wagen krachte, riss der Fahrer des Mercedes den Wagen
zurück auf die Überholspur, das Heck brach dabei aus und die Limousine
streifte noch die Seite des Fiats. Aus den Augenwinkeln sah Franco
dabei für einen Moment die Frau auf dem Rücksitz, die hysterisch
aufschrie – Lady Diana.
Der Mercedes war nach diesem Manöver nicht mehr abzufangen. Kaum war
er an Francos Fiat vorbeigezogen, prallte er auch schon ungebremst auf
einen der Betonpfeiler des Tunnels auf. Das schwere Fahrzeug bäumte
sich auf, wurde innerhalb kürzester Zeit förmlich zerrissen und mit
einem ohrenbetäubenden Geräusch auf die Straße zurückgeschleudert.
Der Mercedes – oder das, was von ihm noch übrig war – schlitterte zurück
auf Francos Spur und verfehlte den Fiat nur um Zentimeter. Hinter ihm
krachte etwas an die Wand der Unterführung. Franco trat in die Bremsen
und blieb stehen. Ein Blechteil schepperte noch über sein Dach, dann
war es still, nur die Hupe des Mercedes heulte gespenstisch in der
Unterführung.
Franco war voller Adrenalin und zitterte am ganzen Körper. Im
Rückspiegel sah er den schwarzen Blechhaufen. Hier lebt garantiert
keiner mehr, dachte er und atmete schwer. Hinten kamen nun einige
Lichter auf die Tunneleinfahrt zu, und auch in der Gegenrichtung
blieb bereits ein Fahrzeug stehen. Franco blickte wieder nach vorn
und konnte nicht fassen, was er dort sah. Direkt hinter der Ausfahrt
der Unterführung stand das Motorrad mit den beiden Gestalten, die den
Mercedes abgedrängt hatten, quer zur Fahrbahn. Nur wenige Augenblicke
später drehten die beiden ab und fuhren weiter. Sofort liefen Francos
Gedanken auf Hochtouren. Hier an der Unfallstelle wären bald genügend
Leute und im Mercedes waren sicher alle tot, da konnte er nichts mehr
tun. Nein, er würde lieber die Rowdys stellen, die den Unfall von Lady
Diana verursacht hatten, so eine Chance gab es in einem Fotografenleben
schließlich nur einmal.
Auf der anderen Seite der Seine war der Eiffelturm, wo auch nachts einiges
los war. Franco vermutete, dass die beiden vorhatten dort unterzutauchen.
Er tastete unter dem Sitz nach seiner Nikon. Sie war noch schussbereit,
wie er mit einem kurzen Blick zufrieden feststellte, als er sie hochhob.
Seine Hand zitterte dabei vor Aufregung. Durch den Schock im Tunnel und
die Anspannung während der Verfolgungsjagd war er mittlerweile schweißgebadet
und sein Herz pochte wie wild.
Die Maschine bewegte sich nun in gemäßigtem Tempo, die Männer klappten die
Visiere der Helme nach oben und schwenkten vor dem Eiffelturm nach links ein,
zu den Anlegeplätzen an der Seine.
Franco wusste sofort, dass das seine Gelegenheit war. Er öffnete das Fenster,
hob die Kamera und stieg aufs Gas. Als er dicht neben dem Motorrad war,
schrie er laut aus dem Fenster. Die beiden rissen die Köpfe herum und
schauten genau in die Nikon. Franco drückte den Auslöser.