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Lena Halberg: New York '01
Leseprobe
PROLOG

Die Halle lag im Halbdunkel, nur das Notlicht brannte und warf ein blaugrünes unwirkliches Licht auf die Szenerie. Erst jetzt bemerkte Hawk, der über die letzten Treppen hinunterlief, dass eine Sirene unablässig durch das ganze Haus tönte, deren Ton bis in sein Gehirn pulsierte. Der Boden war voll Schutt und hinter der langen Empfangstheke, wo sich sonst zwanzig Clerks um die Anliegen der Besucher kümmerten, stand nur einer von jenen in der grauen Uniform und hantierte an einem Schaltkasten herum. Hawk fiel der Mann überhaupt nur auf, weil er sich wegen des Staubs eine knallgelbe, durchsichtige Einkaufstüte über den Kopf gestülpt hatte, deren fröhliche Farbe unpassend wirkte.

Am Fuße der langen Doppelrolltreppen versuchten zwei Sanitäter einen blutüberströmten Mann auf eine Trage zu heben, der eine klaffende Wunde über Hals und Brust hatte. Er war von dem herabfallenden Lichtkasten getroffen worden, der zerstört daneben am Boden lag. Der Mann wimmerte leise als sie ihn anhoben.

Die großen Glastüren des Gebäudes, die in der Eingangshalle drei Etagen hoch waren, standen weit offen - einige waren zersplittert. Vor einem der Eingänge rollte scheppernd ein halber, zersprungener Behälter eines Trinkwasserspenders. Hawk, der sich im Laufen umschaute, ob jemand Hilfe benötige, stolperte darüber und konnte sich nur im letzten Augenblick an einem Pfeiler abfangen.

Auch vor dem Haus war alles übersät mit kleinen und größeren Betonbrocken. Viele Dächer der parkenden Fahrzeuge waren dadurch zerbeult oder eingedrückt, dazwischen Glasscherben und Staub - überall Staub. Er deckte die Dinge so gleichmäßig mit einer hellen Schicht ab, dass man meinen konnte, es wäre frisch gefallener Schnee.

An der Ecke taumelte eine alte Frau auf die Fahrbahn. Ihr Gesicht war weiß verschmiert und ihr ganzer Körper von dem feinen Staub überzogen, der wie Nebel in der Luft hing. Sie stütze sich auf die parkenden Fahrzeuge und schrie markerschütternd, nur übertönt von einer durchdringenden Sirene, die sich von hinten näherte. Zwei Securitys rannten achtlos an ihr vorbei. Instinktiv fasste Hawk die Alte am Arm und riss sie zwischen zwei parkende Autos. Keinen Augenblick zu früh, denn ein Löschfahrzeug der Feuerwehr raste um die Ecke, dicht an ihnen vorbei, und zog eine dunkle Wand aus aufgewühlten Dreck hinter sich her. Hawk wollte der Frau aufhelfen, sie aber stieß ihn von sich und schrie weiter, schrie unablässig einen Namen.

Von oben fielen unablässig Bündel von Papier - Aktenblätter, Briefe, Rechnungen – herunter, so als würde ein riesiger Papierkorb ausgeleert. Ein bunter Zettel flatterte direkt vor Hawks Gesicht - es war eine Ansichtskarte. Er wischte sie mit einer beiläufigen Geste weg und sah dabei kurz in die Augen einer jungen Frau, die in einem rosa Bikini an irgendeinem Strand dem Fotografen zuwinkte.

Das Atmen fiel schwer, so verdreckt war die Luft. Er presste ein Taschentuch vor sein Gesicht, damit ging es etwas besser, und lehnte sich kurz an die Wand, um Kräfte zu sammeln. Eine Wand, die den Tag nicht überleben würde. Denn oben schlugen bereits Flammen aus den geborstenen Fensterflächen und in wenigen Stunden, kurz nach fünf Uhr nachmittags, brach auch Block 7, das elegante, schwarz verglaste Hochhaus auf der Anlage des World Trade Centers in sich zusammen. Die wirklichen Umstände, die dazu führten, sollten nie restlos geklärt werden. Und dann würde der Präsident vor die Fernsehkameras treten und die Welt auffordern, sich am Kampf gegen den Terror zu beteiligen, denn wer jetzt nicht an der Seite Amerikas stand, war ein Feind.

Völlig erschöpft blieb Hawk einige Blocks weiter an der Kreuzung von Chambers und Church stehen und schaute zurück auf das Trümmerfeld. Er wusste, er hatte so etwas schon gesehen, in Warschau, in Vietnam, in Kuwait - so sah Krieg aus.